Interview „Eine Übergabe ist ein mittelfristiger strategischer Prozess“

Wie Zahntechnik Heidlindemann aus Marburg den Generationswechsel gestaltet

Wie stellt sich ein Generationenwechsel in einem Unternehmen dar? Gehen dadurch traditionelle Werte eines etablierten Labors verloren oder werden vielmehr die Weichen für die Zukunft gestellt und damit den Veränderungen des Marktes Rechnung getragen? Oder ist es sogar an der Zeit, den Begriff „Labor“ komplett neu, also eher aus Sicht eines Unternehmers zu überdenken? Fragen wie diese stellten sich bei der seit 40 Jahren bestehenden Zahntechnik Heidlindemann aus Marburg. Die neuen Führungskräfte ZTM Laura Heidlindemann, ZT Fabian Völker und ZTM Stephen Bernert sind die Nachfolger der Unternehmensgründer Doris und Helmut Heidlindemann. Sie haben in der Region Marburg ein innovatives Familienunternehmen aufgebaut, das mit zukunftsweisenden Innovations- und Marketingkonzepten schon immer sehr weit vorne war. Heute ist das Labor bundesweit aufgrund seiner dentalen und digitalen Kompetenz in den Bereichen Ästhetik und Präzision bekannt.

Laura Heidlindemann, aktuell steht der Generationswechsel von Ihren Eltern Doris und Helmut Heidlindemann zu Ihnen drei an. Wie gestalten Sie diesen Prozess?

Laura Heidlindemann: Wir haben bei diesem Generationswechsel sehr viel Glück. Da mein Vater Helmut Heidlindemann als Visionär und Wegbereiter schon immer mit viel Engagement und Weitblick am Unternehmen gearbeitet und das Labor gerade im Bereich der Digitalisierung frühzeitig mitgestaltet hat, übernehmen wir drei eines der innovativsten Labore in unserer Region – wenn nicht sogar das Innovativste. Damit haben meine Eltern die Struktur sehr gut vorbereitet. Eine Übergabe ist natürlich ein mittelfristiger strategischer Prozess, den wir vor zwei Jahren gemeinsam mit einer externen Unternehmensberatung gestartet haben. Dabei stehen die strategische Ausrichtung und die einzelnen Aufgabenverteilungen im Fokus. Meine Eltern stehen uns mit ihrer jahrzehntelangen Expertise als Backoffice zur Verfügung, worüber wir sehr glücklich sind (Abb. 1 und 2). Wie sieht die Aufgabenverteilung bei Ihnen in der Führungscrew jetzt aus? Laura Heidlindemann: Mein Aufgabengebiet ist die betriebswirtschaftliche und organisatorische Leitung des Labors, dazu gehört auch das Rechnungswesen sowie der Online-Außenauftritt. Die technische Leitung obliegt Stephen Bernert. Seine Leidenschaft für die Zahntechnik zeigt sich in der Begeisterung, mit der er sich den Versorgungen widmet und seinem Engagement sowie der Art und Weise, wie er die zahntechnischen Arbeiten zusammen mit unserem Team plant und organisiert. Er kennt jede Arbeit im Labor und ist für unsere „Made in Marburg“-Qualität bekannt. Und mit Fabian Völker haben wir einen Servicedienstleister im Labor, der ständig im Kontakt mit unseren Partnerzahnärzten und Netzwerkpartnern ist. Seine Expertise liegt in der instrumentellen Funktionsdiagnostik, die sich in unserem digitalen 360°-Grad-Workflow wiederfindet.

 Wieviel Prozent arbeiten Sie in oder an Ihrem Unternehmen?

Laura Heidlindemann: Eine spannende und sehr moderne Frage. Wir haben das Labor ständig im Blick und unter uns Lächelmachern eine sehr gute Arbeitsteilung gefunden. Die Zeit der Laborinhaber, die nonstop in ihrem Unternehmen in der Produktion arbeiten, ist längst vorbei. Prozentual lässt sich das bei uns schwer in Zahlen darstellen. Für uns ist klar, dass wir ständig an unserer Zukunftsfähigkeit arbeiten, um unseren Kunden neue Wege und Möglichkeiten bieten zu können. Wir arbeiten jeden Tag strategisch an unserem Unternehmen. Dennoch sind wir alle drei im Tagesgeschäft eingebunden, um alle Mitarbeiter in den Prozessen und bei möglichen Herausforderungen in der Produktion optimal zu unterstützen.

Nach welchen Kriterien suchen Sie Industriepartner aus?

Fabian Völker: Aufgrund meiner vorherigen Tätigkeit im Direktvertrieb bei Schütz Dental habe ich sehr gute Verbindungen, die ich jetzt gerne nutze. Wichtig ist für uns, dass unsere Industriepartner nicht nur ihre Produkte verkaufen wollen, sondern langfristig mit uns gemeinsam Konzepte entwickeln, mit denen wir wiederum unseren Kunden Vorteile anbieten können. Ich erwarte von meinem Gesprächspartner bei der Industrie eine Kommunikation auf Augenhöhe. Das bietet gegenseitige Wertschätzung und Authentizität.

90 Prozent der deutschen Labore arbeiten zuverlässig, ganzheitlich und dienstleistungsorientiert und bieten eine gute Qualität. Wie heben Sie sich ab?

Stephen Bernert: Wir sehen den Patienten als Ganzes und sind Lösungsanbieter für komplexe ästhetische und/oder funktionelle Versorgungen. Zahnersatz muss nicht nur passen, sondern den Patienten begeistern. Dazu muss er sich gut anfühlen und schön aussehen. Auf dieser Basis haben wir unsere zahntechnischen Kernkompetenzen entwickelt. Dazu zählen der Einsatz der instrumentellen Funktionsdiagnostik (zebris), der komplett digitale 360°-Workflow, die 3-D-navigierte Implantologie (Abb. 3) und unserere CAD/CAM-gestützte Teleskoptechnik Digital & Taktil, für die – wie es der Name schon sagt – der taktile Scan mit dem Renishaw DS10 (Schütz Dental) zum Einsatz kommt. Natürlich gehört für uns die Auswahl möglichst weniger Materialien in Kombination mit einer materialgerechten Verarbeitung dazu. Wir sprechen unsere Zielgruppen, also Zahnärzte, Praxisteams und die Endverbraucher direkt mit unseren abgestimmten Produktund Servicekonzepten an. Dafür ist Fabian zuständig. Ganz gezielt geht er individuell auf die Praxen mit unseren Konzepten ein, vornehmlich im Bereich der instrumentellen Funktionsdiagnostik. Diesen Fokus bilden wir auch mit unserem Fortbildungsangebot Competence ab. Unsere Zielgruppen – Zahnärzte und Praxisteams – finden dort ein auf sie abgestimmtes Programm aus Webinaren, kleinen Talkrunden und Events rund um die Wiederherstellung des Lächelns der Patienten.

Ihr Werbeslogan lautet „Ihre sichere Zukunft“. Wie gestalten Sie die Zukunftssicherung?

Laura Heidlindemann: Die Zukunftssicherung besteht aus zwei Bereichen: die Sicherheit im Inneren und die Sicherheit im Äußeren. Beides dient sowohl unseren Mitarbeitern als auch unseren Kunden. Wir überlassen nichts dem Zufall. Der jahrelangen Expertise meiner Eltern im Bereich der Unternehmensführung ist es zu verdanken, das infolge unserer guten Aus- und kontinuierlichen Weiterbildung eine innere Sicherheit in unserem Team entsteht. Wir bieten unseren Mitarbeitern nicht nur in Bezug auf den Arbeitsplatz Sicherheit, sondern auch durch das gemeinsame Miteinander und unsere Unternehmenskultur. Letztere liegt uns sehr am Herzen. In unserer Darstellung – online und persönlich – ist es uns wichtig, authentisch zu sein. Wir zu sein! Die Lächelmacher zu sein! Die äußere Sicherheit bieten wir unseren Partnerpraxen mithilfe ausgereifter Technologien, durchdachter digitaler Prozessen und Konzepte sowie mit einem Versprechen auf unsere Beständigkeit an. Dazu gehört natürlich auch der Aspekt der Datensicherheit. Wir gewährleisten, dass alle gesetzlichen Anforderungen in Bezug auf MDR erfüllt werden und sind auch hier auf dem sicheren Weg – also ein in sich gesundes Unternehmen.

Wie motivieren Sie junge Menschen, den Beruf des Zahntechnikers in Ihrem Labor zu erlernen?

Stephen Bernert: „Wir haben noch Platz für Dich“ – so lautet unsere Kampagne für junge Menschen, die wir zum Beispiel bei der Ausbildungsmesse präsentieren. Wir begeistern vor allem die kreativen und digital affinen Jugendlichen und holen sie mit einer modernen Berufsausrichtung ab. Ein wichtiger Baustein unseres täglichen Miteinanders ist die Wertschätzung, die wir unseren Mitarbeitern entgegenbringen und ihre beruflichen und persönlichen Wünsche wahrnehmen. Das und der ständige konstruktive Austausch sind wichtige Elemente für ein angenehmes, vertrauensbildendes Arbeitsumfeld, das unsere Mitarbeiter sehr schätzen. Praktikanten sind jederzeit willkommen, um bei uns den aus unserer Sicht schönsten Beruf kennenzulernen (Abb. 4).

Wie reagieren Sie auf die Marktkraftverschiebung hin zu Patienten?

Fabian Völker: Mit Endverbraucherkonzepten wie der Alignertherapie „8smile“. Mit dem Claim „Schenke dir ein neues Lächeln“ sprechen wir als regionaler Partner gemeinsam mit unseren Partnerzahnärzten die Patienten mit dem Angebot an, ihre Zähne ohne Stress und Spange begradigen zu lassen. Bei der „8smile“ Alignertherapie handelt es sich um eine innovative, vor allem aber schnelle, kostengünstige und unsichtbare Methode zur Korrektur von Zahnfehlstellungen. Damit geben wir unseren Partnerpraxen und den Patienten die Sicherheit, eine seriöse Behandlung mit kieferorthopädischer Expertise durchführen zu können. Der Endverbraucher lässt sich von seinem Zahnarzt beraten bzw. betreuen und erhält eine kostenlose Planung für seine Schienentherapie. Bereits innerhalb weniger Tage liegt ihm seine erste Schiene von uns vor. Die Schienen sind bis zu 70 Prozent günstiger als feste Zahnspangen. Wir finden das Konzept toll. Und auch darüber hinaus trete ich auf Wunsch unserer Partnerpraxen in den direkten Patientenkontakt. Mit zahntechnischen Informationsgesprächen unter dem Label „ZHtalk“ entlaste ich unsere Kunden. Wenn es beispielsweise um sicheren Zahnersatz oder auch um sehr komplexe Versorgungen geht. Mit ausreichend viel Zeit decke ich den Gesprächsbedarf der Patienten direkt in der Zahnarztpraxis ab. Das Ergebnis ist ein glücklicher Patient, der gut informiert, behandelt und wertgeschätzt wird (Abb. 5).

Stichwort Zahntechnik 4.0: Wie führen Sie die Umstellung von analogen zu digitalen Prozessen durch und wie weit sind Sie in diesem Bereich?

Stephen Bernert: Mit unserem 360°-Grad-Digital-Portfolio decken wir bereits den kompletten digitalen Workflow mit smarten Produkten und Services für Patienten ab. Nahezu jede Arbeit durchläuft bei uns die digitale Prozesskette. Alles beginnt mit den Scandaten der digitalen Abformung. Modelle, Abformlöffel, Aufbissschienen, Zahnfleischmasken, Wachsobjekte für die Gusstechnik und Bohrschablonen werden bei uns im 3-D-Druckverfahren hergestellt (Abb. 6). Zahnärzte unterstützen wir mit der 3-D-navigierten Implantologie „Guide“. Aus „Safe“ generieren wir Daten, die wir mittels digitaler Kiefergelenksvermessungen erzeugen. Die Daten werden von unseren Zahntechnikern in der CAD-Software weiterverarbeitet, an die CAM-Software übergeben und mit den jeweiligen Fertigungssmaschinen präzise umgesetzt. So generieren wir unsere Unikate, die funktionieren und ästhetisch sind. Bei „Safe“ handelt es sich um unser Konzept für die digital basierte instrumentelle Funktionsdiagnostik. Dafür haben wir mit Fabian einen Spezialisten gewonnen, der das System aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit bei Schütz Dental mit entwickelt hat und bei Zahnmedizinern wie Zahntechnikern gleichermaßen für seine Expertise auf diesem Gebiet bekannt ist. Unser Zukunftsblick geht in Richtung 3-D-Scans vom Schädel mit Bewegungsdynamiken, die wir dann in unsere Planungen übernehmen (Abb. 7).

Im 3-D-Druckverfahren werden bei der Zahntechnik Heidlindemann Abformlöffel, Modelle, Bohrschablonen, Aufbissschienen, Zahnfleischmasken und Wachsobjekte für die Gusstechnik gefertigt. In Zukunft soll es um das Matching von 3-D-Scans der Schädel mit den spezifischen Bewegungsdaten gehen, sodass diese Informationen in die Planung des Zahnersatzes übernommen werden können. Unterstützung für Partnerpraxen bei der digital basierten Kiefergelenksvermessung. Mit zahnfarbenen Snap-on Schienen, die auf Basis der Kiefergelenksvermessung erstellt wurden, schicken die Funktionsexperten der Zahntechnik Heidlindemann die Patienten in eine Testphase.

Bitte stellen Sie das „Safe“-Konzept mit der digital basierten instrumentellen Funktionsdiagnostik näher vor.

Fabian Völker: Sehr gerne! „Safe“ bedeutet unter anderem: Einschleifen war gestern! Denn aufgrund der instrumentellen Funktionsanalyse sind bissbedingte Nacharbeiten in der Praxis nicht mehr nötig und der Endverbraucher erhält von uns eine sichere und passende Prothetik. Wir bieten unseren Partnerzahnärzten mit dem digitalen Vermessungssystem Tizian JMA Optic by zebris (Schütz Dental) eine kostenpflichtige Dienstleistung an (Abb. 8a und b). Mit dem System werden berührungslos alle dynamischen Bewegungen des Patienten aufgezeichnet, die wiederum 1:1 in die Herstellung unserer Prothetik einfließen. Weiterhin ist die Analyse funktionsauffälliger Patienten möglich. So richtig krass finde ich immer, wie sensationell die auf der Basis dieser Vermessungsdaten gefertigten Versorgungen passen. Ich arbeite nunmehr zehn Jahre mit der mittlerweile 3. Generation des zebris-Systems und habe es bei Schütz Dental mit Funktionsexperten gemeinsam ent- und weiterentwickelt und Hunderte von Anwendern in Fortbildungen dafür begeistert. Vor allem profitiert die Praxis immens von der Vermessung. Zum einen wegen des digitalen Praxisimages und der Zeitersparnis, aber auch aufgrund der forensischen Absicherung (lückenlose Dokumentation). Dieser kommt insbesondere im Hinblick auf die Implantatplanung und -versorgung eine immer größere Bedeutung zu.

Wie setzen Sie die Vermessungsdaten um?

Fabian Völker: Zumeist geht es ja um komplexe Versorgungen. Damit der Patient eine Vorstellung erhält, wie sein Lächeln zukünftig aussehen kann, bieten wir ihm eine Testphase mit unserer Snap-on-Schiene an (Abb. 9). Diese zahnfarbene Schiene wird auf die vorhandenen Zähne gesetzt und erfüllt bereits hohe ästhetische Ansprüche. Als Aufbissschienen stellen wir sie auf der Basis der Kiefergelenksvermessung her. Die Vermessungsdaten aus dem Tizian JMA Optic by zebris-System ermöglichen es uns, neben der Kondylenbewegung alle Freiheitsgrade des Unterkiefers berührungslos zu erfassen. Reale Bewegungsabläufe des Patienten binden wir mit in die Konstruktion der Schienen ein und legen mit der Software den optimalen Biss fest. Die Herstellung erfolgt ohne Präparation – es ist also lediglich eine Abformung, konventionell oder digital, erforderlich. Als non-invasive Therapie ist die Schiene übergangsweise als Provisorium geeignet – auch bei einer Implantatversorgung. Und als ein wichtiger Aspekt für die ganzheitliche Betrachtung: Sie ist spannungsfrei und entlastend – Knirscher und Bruxer erleben den Effekt einer schmerzfreien Reduzierung von Nacken-, Schulter- und Kopfschmerzen.

Erschienen in der Quintessenz Zahntechnik 08/2021
Das Gespräch führte Claudia Gabbert, Nordquadrat PR + Marketing.

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